Muttertag – Blumen und Frühstück (FINK Artikel Mai 2017)

Nergiz EschenbacherHistorie, Psychotherapie

Praxis für Psychotherapie Freising, Nergiz Eschenbacher

Seit Januar 2017 finden Sie unter der Rubrik „Geist und Seele“ im Freisinger Stadtmagazin FINK von mir beantwortete Fragen zu Themen rund um unseren Körper, Geist und Seele. Hier der aktuelle Beitrag im Original zum Herunterladen: http://www.fink-magazin.de/ausgaben/mai-2017/

Muttertag – Blumen und Frühstück

„Der Klassiker ist Frühstück machen für Mama. Wieso ist das so? Was bewirkt ein guter Start in den Tag?“

Klassiker werden zu Klassikern durch Wiederholung und verankern sich in uns durch ihre wohlige, satte, emotionale Bedeutung. Unsere tägliche Nahrung zelebrieren wir ebenfalls immer wieder und der Einfluss unserer Stimmung dazu ist uns wohl auch bekannt, vielleicht gleicht sie dem Oscar Wilde`s[1] und seinem Eingeständnis „wenn ich erregt bin, gibt es nur ein Mittel, mich völlig zu beruhigen: Essen“. Die erste von der wir Nahrung erhalten, um zu wachsen ist zunächst ausschließlich unsere Mutter. Um hier den väterlichen Unmut vorwegzunehmen –  das beginnt nämlich bereits in der frühen Zellprägung: nämlich in der ersten Phase der Schwangerschaft. Das befruchtete Ei kann sich endlich in der Gebärmutter nach langer Reise einnisten und dort die erste Beziehung zur Mutter und somit die erste Beziehung auch zur Nahrung eingehen. Denn dort bekommt es nicht nur eine erste Stärkung, sondern wird genährt um zu wachsen bis zu seiner Geburt. In der Prä- und Perinatalen Psychotherapie weiß man inzwischen, dass dabei neben den notwendigen Nahrungsstoffen über hormonellen gesteuerten Austausch Stimmungen und Gefühlslagen der Mutter (auch bereits in Beziehung zu ihm selbst) vom Embryo aufgenommen werden. Für ihn gibt es hier also gar keine Trennung von Essen und Emotionalem – für ihn ist es etwas, das er tatsächlich zunächst nur in Vereinigung kennt und aufnimmt. Hier liegt also bereits eine prägende vorgeburtliche  Verbindung von Nahrung und Gefühlen vor. Und nach unserer Geburt ist es für unsere Entwicklung unerlässlich, wenn wir physisch von unserer Mutter (biologisch angelegt) durch das Stillen oder von der „Mutter Erde“ mit all ihrer bunten Vielfalt an Nahrung (im Idealfall) und psychisch mit der liebenden Präsenz unser Bezugspersonen (auch im Idealfall) genährt werden. Vielleicht geht es beim Zelebrieren eines gemütlichen Frühstückes nicht um einen „guten“, vielmehr um einen „gut genährten Start“ in den Tag und ist als eine Art Gleichnis zu unserem „gut genährten Start“ ins Leben, zu verstehen.
Dieses ganzheitlich genährt worden sein (natürlich im Idealfall), um uns den Herausforderung des Lebens stellen zu können, wollen wir möglicherweise nun symbolisch am Muttertag feierlich begehen und vielleicht sogar ein stückweit dankend im Sinne Goethe`s[2]: „wenn ihr gegessen und getrunken habt, seid ihr wie neu geboren, seid stärker, mutiger, geschickter zu eurem Geschäft“ zurückgeben.

[1] 1854-1900 irischer Lyriker, Dramatiker und Bühnenautor.

[2] 1749 – 1832 bedeutender deutschsprachiger Dichter

„Ist der Muttertag nicht eine Erfindung der Floristen?“

Jein. Zu den unabhängig voneinander aufflammenden Vorläufern des heute bekannten Muttertages gelten Verehrungsrituale für Göttinnen des antiken Griechenlandes und des römischen Reiches sowie der „Mothering Day“ von Heinrich III. im England des 13. Jahrhunderts. Hier sollten Christen die „Mutter Kirche“ ehren. Als praktischen Anlass nahm die dabei vollzählig zusammengekommene Familie diesen Tag, um die eigene Mutter mit kleinen Aufmerksamkeiten zu beschenken. Tatsächlich ist der heute bekannte Muttertag auf die Frauenbewegungen des 19. Jahrhunderts zurückzuführen. Parallel in den USA und in Europa setzten sich Frauen in organisierten Komitees für den Frieden und die noch auf sich wartenden Frauenrechte, wie bessere Bildungschancen und das Wahlrecht, ein. Als Begründerin des Ehrentages für Mütter gilt heute die amerikanische Frauenrechtlerin Anna Jarvis, welche die großen Verdienste ihrer eigenen Mutter Ann Maria Reeves Jarvis und damit aller Mütter angemessen gewürdigt wissen wollte. Diese hatte Verwundete während des amerikanischen Bürgerkrieges unterstützt, gegen die Kindersterblichkeit aufgrund von Hygienemängel und mehr Gesundheit in den Familien, gekämpft. Leidenschaftliche Aktionen der engagierten Tochter erlangten dann endlich 1914 ihren Höhepunkt. Der Kongress der Vereinigten Staaten erklärte den zweiten Sonntag im Mai zum Mutter- und nationalen Feiertag. Durch internationale Kongresse fand dieser Tag ihren Weg nun in viele andere Länder. Dieser führte 1922/23 zum Verband Deutscher Blumengeschäftinhaber und sorgte mit dem ausschließlichen Anliegen der „Ehrung der Mutter“ schließlich für ihre kommerzielle Etablierung in der BRD. Im dritten Reich wurde sie zu Propagandazwecken missbraucht und erfuhr durch die Verleihung des Mutterkreuzes eine tiefprägende Bedeutung, um dann durch die Distanzierung Deutschlands von diesem idealisierten Mutterbild nach 1945 und vielleicht durch den Einfluss der alliierten Besatzung USAs zu ihrer bis heute bestehenden Form zurückzufinden. Die dann hauptsächlich wirtschaftlich gelebten Motive dieses Ehrentages erschütterten und verärgerten die Urheberin Anna Jarvis ungemein, die bis zu Ihrem Tod (auch gerichtlich) um eine Aufhebung des Muttertages kämpfte.

„Vatertag gibt`s ja auch. Aber der steht nicht so im Fokus. Wieso denn?“

Der bei Google definierte Begriff „Va̱·ter·tag – Substantiv [der] – umgangssprachlich“ als „der Himmelfahrtstag, an dem viele Männer (ohne ihre Familien) gemeinsam Ausflüge machen und feiern“, mag vielleicht den ein oder anderen modernen, fürsorglichen Vater zu einseitig und ihn für sein Engagement nicht ausreichend gewürdigt anmuten. Nichtsdestotrotz scheint aber die geschichtliche Entstehung dieses Ehrentages tatsächlich – zumindest in der BRD – nicht aus familiären Bezügen heraus entstanden zu sein. Vielmehr ist sie im Laufe der Zeit aus verschiedenen Ur-Eisschollen zu einer großen Eisscholle verschmolzen. Da gibt es die ersten Belege aus dem Mittelalter mit dem jährlich stattfindenden Gang eines Besitzers um sein Eigentum, um so sein Rechtsanspruch zu erneuern. Andere vermuten ursprünglich religiös motivierte Begehungen anlässlich zu Christi Himmelfahrt, wie die der Apostel- oder Bittprozessionen[1].  Eines war allerdings all diesem Ursprung gemeinsam, sie wurden von geselligen Männern als Anlass genommen sich in Gemeinschaft Gleichgesinnter feuchtfröhlich[2] auf den Weg zu machen. Gesellschaftliche Erklärungen verweisen auf die im 19. Jhd. en Vogue gewordene Freizeitgestaltung Berlins junger Männer, die auf den „ sog. Herrenpartien“ auf dem Land in Biergärten und Wirtshäusern einkehrten. Andererseits war zur Zeit der Industrialisierung ein Feiertag willkommener Moment zur Entspannung nach der harten Arbeit in den Fabriken. Auch hier gab es ein gemeinsames Merkmal: Frauen hatten kein Zutritt – die Männer blieben unter sich. Erst mit dem amerikanischen Einfluss durch die Einführung des Muttertages/Vater-tages wurde der Vatertag, wie wir ihn seit Anfang des 19. Jahrhunderts auch bei uns nennen, geboren. Die Geschichtsschreibung der USA kann nämlich im Gegensatz dazu auf einen stringenten geschichtlichen Werdegang des Vatertages zurückblicken. Diese beginnt ebenfalls bei einer jungen Frau namens Sonora Louise Smart Dodd – interessanterweise – als sie in einem Gottesdienst der neuinstallierten Feierlichkeit zu Ehren der Mütter um 1909, saß. Voller Dankbarkeit dachte sie dabei an die Leistungen ihres Vaters, da er nach dem Tod seiner Frau seine sechs jüngeren Kinder nicht wie damals üblich, weggab. Er zog seine Kinder neben dem harten Arbeits- und Überlebenskampf als Besitzer einer Farm, selbst auf. Sonora startete nun ihrerseits eine Kampagne und nach ihrem eigenen Heimatort gewann sie weitere Staaten für diesen Gedanken. Dennoch brauchte der Vatertag nach einer Proklamation 1924 noch eine Durststrecke bis 1974 unter Präsident Nixon, um den gleichberechtigten Status wie der Muttertag als offizieller Feiertag zu erlangen.

[1] „Bräuche um Christi Himmelfahrt“: Brauch, den Tag bereits in der vorhergehenden Woche mit Prozessionszügen oder -ritten durch Wald und Wiesen zu feiern. Die Tage vor Christi Himmelfahrt wurden deshalb auch „Bitttage“ genannt. […] Quelle: http://www.katholisch.de/glaube/unser-kirchenjahr/viel-mehr-als-nur-vatertag

[2] Übrigens verzeichnet das Statistische Bundesamt dreimal mehr alkoholbedingte Unfälle an diesem Tag im Vergleich zum Rest des Jahres.

„Sollte nicht jeder Tag Muttertag sein?“

ist eine Frage, die einlädt in größeren Bezügen, als den familiären, betrachtet zu werden. Ja, es sollte jeder Tag „Muttertag“ sein, allerdings nicht als ein Feiertag, sondern als eine innere Haltung. Uns anlehnend an das Ursprungsanliegen Anna Jarvis zu erinnern und zunächst mit Wertschätzung, Anerkennung und ja auch Dankbarkeit an diese mutigen Leistungen von Frauen/Männern zu gedenken, die durch ihre feministischen innovativen Visionen unsere heutige vielfach gleichberechtigte Gesellschaftsform vorgestaltet haben. Sie aber auch gleichzeitig als Vorbild zu nehmen und uns an noch nicht da gewesenes und sogar idealistisches heranzuwagen. Allen ist bekannt, dass ein gesellschaftliches Ungleichgewicht nach wie vor im Vergleich zwischen Frau und Mann gelebt wird. Neben der z.B. noch dreifachen Belastung zwischen Kindererziehung, Beruf und Haushalt, gehören vor allem berufsbedingt ca. 30% weniger Gehalt, sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz, Karriereerschwernisse etc., immer noch zum Alltag vieler Frauen. Das eine Gesellschaft noch nicht darauf reagiert hat, mutet vor dem Hintergrund, dass wir im 21. Jahrhundert leben und es seit Anbeginn der Zeit bekannt ist, dass bei Kinderwunsch, das Austragen und Gebären die Frau übernehmen muss, seltsam an. Es geht hier nicht um den alten Zopf des Kampfes zwischen Mann und Frau. Es geht um einen ganzheitlichen Blick aus der Vogelperspektive auf die noch auf sich wartenden strukturellen Veränderungen in der Gesellschaft, die für beide Geschlechter eine humanere Gleichberechtigung miteinander er-lebbar machen. Auch den Männern ist oft nur eine einseitige Entwicklung möglich. Aber gerade junge Vätern haben vermehrt den Wunsch gleichermaßen z.B. aktiv am Leben ihrer Kinder teilzuhaben und Zeit flexibler zu gestalten. Erste Schritte gibt es, wie der Mindestlohn, Home Office, Elternzeit. Es fehlt allerdings noch der ultimative Kick in eine mutige neue Form. Vielleicht sorgen ja heute noch unvorstellbare Modelle, wie ein Grundeinkommen, später einmal mehr an gesellschaftlicher/persönlicher Lebensqualität. Ohne „existenziellen“ Kampf haben wir vielmehr Kapazitäten, Dinge zu tun, die wir gerne machen. Und wie wir von uns selbst vielleicht wissen, teilen wir das aus einem Gefühl der Freude heraus gerne mit anderen. Die Welt, heißt es, wächst immer mehr zusammen: wie schön die Vorstellung dabei ein mit(Selbst-) Verantwortung und Wertschätzung gelebtes Miteinander. So kann das Sinnieren über einen Muttertag wie der Flügelschlag eines Schmetterlings ein Sturm utopischer Visionen hervorrufen.

Achten Sie gut auf sich!

Herzlichst

Nergiz Eschenbacher